Leitfaden für die Arbeit mit dem Baum der Erkenntnis als Dokumentationsbuch für das Kind

Der Baum der Erkenntnis wurde einerseits geschaffen, um die schwedischen Lehrpläne für Vorschule und Grundschule (Klasse 1 – 9) zusammen zu fügen. Das Material soll so einfach wie möglich aufzeigen, welche Ziele in der Vorschule und in der Grundschule erreicht werden sollen.

Gleichzeitig soll es die Dokumentation der Entwicklung des Kindes erleichtern und die Kompetenzen des Kindes sichtbar machen. So dient es einerseits als eine Grundlage bei den halbjährlichen Entwicklungsgesprächen, an dem Eltern, Kind und pädagogisches Team teilnehmen. Andererseits spielt es eine wichtige Rolle beim Übergang des Kindes von der Vorschule zur Schule, sowie bei weiteren Gruppenwechseln. Außerdem hilft diese Dokumentation bei der Erarbeitung individueller Förderpläne.

Seit dem Erscheinen der deutschen Übersetzung von „Kunskapens Träd“ im Oktober 2003 gab es zahlreiche Anfragen von pädagogischen Mitarbeitern aus Vorschuleinrichtungen und Grundschulen, die den Baum der Erkenntnis gern in ihrer Arbeit als Dokumentationsdokument einsetzen möchten. Wie fängt man mit einer solchen Dokumentation an? Welche Erfahrungen gibt es in Schweden? Wie können sich die Mitarbeiter auf diese Aufgabe vorbereiten? Mit diesem Leitfaden wollen wir eine Art Checkliste aufstellen, die vor der allgemeinen Einführung des Buches als Dokumentation bearbeitet sein sollte. Unser Ausgangspunkt dafür ist die praktische, tägliche Arbeit des pädagogischen Teams. Dabei benutzen wir die in Skandinavien übliche vertrauliche Anrede.

  1. Mit dem Baum der Erkenntnis vertraut werden

    Sucht euch im oberen Teil der Baumkrone ein Lernziel aus und untersucht dann, welche Kompetenzen im Wurzelbereich nötig sind, um dieses Ziel zu erreichen.

    Ein Beispiel: Baumkrone - Naturwissenschaftliche Fächer Betreffend Anwendung der Erkenntnisse Biologie: Fürsorge für die Natur entwickeln und die Verantwortung bei deren Nutzung Schlagt jetzt im Wurzelbereich nacheinander die Kompetenzen aller 5 Entwicklungsbereiche auf. Welche Kompetenzen im Bereich intellektuelle Entwicklung braucht man zur Erreichung des obigen Zieles? (nur drei Kompetenzen notieren!) Welche im Bereich gefühlsmäßige Entwicklung? Braucht man dazu auch Kompetenzen der motorischen Entwicklung? Und wie ist es mit der sozialen und sprachlichen Entwicklung?

    Die ganzheitliche Sicht auf das Kind, die Grundlage dieses Bildungsplans, wird bei diesen Untersuchungen verdeutlicht. Erfahrungsgemäß führen sie auch zu anregenden Teamgesprächen. Und wie könnte man die Bedeutung der frühkindlichen Bildung besser vor Augen führen als mit dieser Übung!

  2. Das Buch als Werkzeug der Dokumentation kennen lernen

    • Wählt ein Kind aus, mit dem ihr gemeinsam arbeitet.
    • Fangt damit an, dass jeder „sein Bild von diesem Kind“ niederschreibt. Eine kleine kurze Zusammenstellung von Kompetenzen, Fähigkeiten, Interessen usw.
    • Legt danach diese Dokumentationen bei Seite.

    Nehmt nun den Baum der Erkenntnis für dieses Kind zur Hand.
    Entsprechend dem Alter des Kindes muss man wählen, auf welchem Niveau man beginnen will. Um richtig in das Material hinein zu kommen, sollte man das erste Mal die Dokumentation von den Wurzeln beginnen, auch wenn man es mit einem Schulkind zu tun hat. Man diskutiert Begriff nach Begriff, der im Baum der Erkenntnis beschrieben wird und versucht zu klären, ob das Kind diese Kompetenzen schon erobert hat oder nicht. Oft ist man sich sofort einig, aber in vielen Fällen entdeckt ihr sicher, dass ihr unterschiedlicher Meinung seid. Wie kommt das? Lernen und Kompetenzen sind abhängig von Milieu, Situation, Stimmungslage, Zusammenhang usw., und als Pädagogen trefft ihr das Kind in unterschiedlichen Situationen. Wenn ein Kollege sieht, dass das Kind eine Kompetenz in einem bestimmten Zusammenhang besitzt, dann muss man diskutieren, was das bedeutet.

    Kann man sich einigen, dass das Kind diese Kompetenz besitzt?
    Genau diese Situation ist zentral bei der Anwendung von „Kunskapens träd“. Das ist also kein Material, das man schnell abhaken kann. Es ist ein Material, das darauf baut, dass die Teammitglieder gemeinsam diskutieren, wie sie jedes einzelne Kind erleben.

    Um einen schnellen Überblick zu bekommen schlagen wir vor, dass jede eroberte Kompetenz mit einem Textmarker markiert wird. Schnell und einfach kann man so die Stärken und Entwicklungsstände des Kindes ablesen. Beachtet, dass es wesentlich ist alle Wurzelsysteme zu dokumentieren. Man kann nicht einen Bereich wegfallen lassen, da sie die ganze Zeit zusammenspielen. Alle Wurzelsysteme haben Bedeutung als Voraussetzung, um „weiter bis zur Baumkrone hinauf zu klettern“.

  3. Begriffe klären

    Der „Baum der Erkenntnis“ wurde auf der Grundlage der schwedischen Lehrpläne von über 100 Mitarbeitern der Kinder- und Jugendbehörde der Gemeinde Halmstad entwickelt. Wenn also im Lehrplan für die Vorschule steht: „ Die Vorschule soll danach streben, dass die Kinder…..mit Sprache spielen, Interesse an geschriebener Sprache und die Deutung von Symbolen entwickeln und deren kommunikative Bedeutung verstehen…“, dann haben sich diese Praktiker gefragt, was das in ihrer täglichen Arbeit bedeutet. Woran erkennt man bei Kindern das Interesse für Sprache? Woran zeigt sich das Verständnis für Symbole? So kamen die Kompetenzen im Wurzelwerk des „Baums“ zustande. Das bedeutet, dass Praktiker, die jetzt mit diesem Werk arbeiten, sich in ihrem Team einigen müssen, was sie unter den verschiedenen Kompetenzen verstehen wollen. Was möchten wir bei einem Kind beobachten, wenn wir diese Kompetenz Markern können? Diese Erarbeitung der Kompetenzbegriffe ist eine wichtige Aufgabe während der ersten Zeit mit dem Baum – schwierig, zeitfressend, aber ein ungeheuer großer Fortschritt für das Team, da es eine intensive pädagogische Diskussion in Gang bringt. Haltet dann diese Definition schriftlich fest – am besten in einem Buch für das pädagogische Team, z.B. hinten auf den Seiten für eigene Notizen. Diese Notiz gilt dann als Gedächtnisstütze, damit man sich auch nach einem Jahr noch an die erarbeitete Definition erinnert. Aber auch bei Personalwechsel sind diese Eintragungen praktisch, zur Einführung für neue Teammitglieder.

  4. Mit einer kleinen Gruppe beginnen

    Bei der Einführung scheint es günstig zu sein, nicht gleich alle Kinder der Einrichtung einzubeziehen. Beginnt mit den Dreijährigen oder mit den Kindern, die nächstes Jahr in die Schule kommen oder mit der Gruppe eines besonders interessierten Teams, damit ihr erste Erfahrungen sammeln und weitergeben könnt. Das ist auch hilfreich für die Elterngespräche.

  5. Die Seiten für eigene Notizen

    Sie können für eigene Kommentare, das Festhalten von Daten oder Situationsbeschreibungen verwendet werden. Wenn z. B. ein Begriff im Wurzelsystem kommentiert werden soll, kann man dort eine Ziffer einfügen, so dass man gleich sieht: dazu gibt es noch mehr zu lesen. Später können auch mehrere Ziffern bei einem Begriff stehen, denn das Lernen ist ja nicht statisch.
    Was die Dokumentation beim sozialen und gefühlsmäßigen Wurzelsystem angeht, so kann die während der Schulzeit – und wohl das ganze Leben hindurch – viele Male verändert werden. Der Begriff „wagen, in einer Gruppe zu handeln“ bedeutet ja etwas ganz Anderes im Vorschulalter als wenn man Teenager ist. Spannend ist jedoch zu sehen, wie sich das über die Jahre verändert, und zu diskutieren: Warum ist das jetzt so? Wie war das früher?

  6. Die Eltern mit dem Baum der Erkenntnis bekannt machen

    Die Erfahrungen zeigen, dass es von Seiten der Eltern keine Widerstände gegen die Einführung dieser Art von Dokumentation gibt. Wer sollte auch etwas dagegen haben, wenn die Stärken seines Kindes dokumentiert werden! Aus diesem Grund dürfte es auch bei der Weitergabe des Baums vom Kindergarten an die Schule kaum Schwierigkeiten geben. Voraussetzung ist allerdings, dass Eltern über Zielsetzung und Handhabung dieser Form der Dokumentation ausreichend informiert werden.

    Als eine Grundlage bei Lernentwicklungsgesprächen mit den Eltern ist dieses Material wohl unschlagbar! Die Kompetenzen des Kindes sind durch die Unterstreichungen mit dem Textmarker deutlich sichtbar. Das alles kann mein Kind schon! Und auch die nächsten Entwicklungsstufen hat man vor Augen – dort geht es weiter.
    Für das pädagogische Team ist es wichtig, auch die Einschätzungen der Eltern zu erfragen. Wenn das Kind zu Hause eine Kompetenz zeigt, die im Kindergarten/ in der Schule nicht erkennbar ist (und umgekehrt), muss man sich fragen, woran das liegt und was man vielleicht verändern könnte.

  7. Beteiligung der Kinder und Jugendlichen

    Ein großer Vorteil dieses Materials ist es, dass es Kindern und Jugendlichen bei der Selbsteinschätzung hilft. Mit Hilfe der Anzeichnungen im Baum der Erkenntnis kann man schon im Kindergarten in regelmäßigen Abständen mit dem Kind über Ziele und Inhalte der Aneignungstätigkeit reflektieren. Das Kind lernt dadurch seine Stärken und Fähigkeiten kennen und freut sich über die Dokumentation individueller Lernerfolge. Die Bedeutung dieser Erfahrungen für das lebenslange Lernen liegt auf der Hand. Kinder und Jugendliche, die in ihrer Lern- und Erkenntnistätigkeit von diesem Curriculum begleitet werden, bekommen damit einen Wegweiser für die zu erreichenden Bildungsstationen, der ihnen eine Orientierung bei der Selbstorganisation ihrer Aneignungstätigkeit ermöglicht. Sie werden damit zum eigenverantwortlichen Akteur ihrer Entwicklung.

  8. Erleichterung von Übergängen

    Der Baum der Erkenntnis als individuell geführtes Dokument der Kompetenzen und Lernfortschritte erleichtert die Erfassung der Lernausgangslage beim Übergang vom Kindergarten in die Schule. Die Schule kann dort weitermachen, wo der Kindergarten aufgehört hat.
    In Schweden hat sich folgende Vorgehensweise als günstig erwiesen:
    Zwei Monate vor dem Übergang treffen sich die pädagogischen Teams aus Vorschule und Schule zu einem Übergabegespräch. Grundlage dafür ist diese Dokumentation, sowie das persönliche Portfolio des Kindes, also zumeist eine Mappe mit ausgewählten Arbeitsergebnissen. Zwei Monate nach Schulbeginn trifft man sich dann erneut – zur Rückmeldung an die Vorschule und als Gelegenheit für weitere Nachfragen. Selbstverständlich erleichtert dieses Material auch weitere Wechsel von einer Gruppe in eine andere, die das Kind im Laufe seiner Schulzeit erlebt.

  9. Wie kann es in der deutschen Grundschule weitergehen?

    Der Baum der Erkenntnis als individuell geführtes Dokument der Kompetenzen und Lernfortschritte erleichtert die Erfassung der Lernausgangslage beim Übergang vom Kindergarten in die Schule. Die Schule kann dort weitermachen, wo der Kindergarten aufgehört hat.
    In der unteren Zweigschicht findet man die nationalen schwedischen Ziele, die die Kinder im Laufe von 5 Jahren mindestens erreichen sollten – Grobplanung. Für die Feinplanung ist das Lehrerteam zuständig, ausgehend von den Voraussetzungen, Bedürfnissen, Interessen und Erfahrungen der Schüler. Für deutsche Grundschullehrer/innen heißt das, sie müssen die jeweiligen Lehrpläne ihres Bundeslandes als Grundlage für die Feinplanung nehmen. Sie müssen aber Wege weg vom Gleichschritt finden, bei dem alle in der Klasse das Gleiche im gleichen Tempo lernen sollen. Kinder sind sehr unterschiedlich und entwickeln sich auch ganz unterschiedlich. Deshalb müssen Schüler/-innen das Recht auf ein unterschiedliches Lerntempo haben, durch individuelle Lehrpläne. Die Dokumentation der individuellen Fortschritte geschieht am besten auf gesonderten Bögen mit konkreten Teilzielen, die den Schülern helfen, über ihr Lernen zu reflektieren und Verantwortung für ihr selbständiges Lernen zu übernehmen. Die Bögen können Teil eines Portfolios sein. Im „Baumbuch“ sollte aber unbedingt markiert werden, wenn eines der Grobziele erreicht wurde.

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